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Zu dünn? Zu dick? Normalgewichtig?

- Was Eltern tun können, um Essstörungen vorzubeugen!

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Das Wiener Programm für Frauengesundheit ist seit 1998 in der Prävention von Essstörungen in Wien aktiv, denn: Der Druck schön und schlank zu sein, um in unsere Gesellschaft als beliebt zu gelten, ist weit verbreitet. „Schlank sein“ bedeutet in unserer Kultur „erfolgreich sein“, „wertvoll sein“, „geliebt werden“. Schlank sein ist somit für zu einem Glücks- und Heilsversprechen geworden, das sich durch alle Gesellschaftsschichten und Altersgruppen zieht.

Gerade jedoch die Phase der Pubertät und Adoleszenz, in der sich der kindliche Körper in rascher Zeit verändert und die Form einer erwachsenen Frau, eines erwachsenen Mannes annimmt, ist eine sensible Phase in der Entwicklung eines jungen Menschen. Denn die Jugendlichen müssen nicht nur mit den starken körperlichen Veränderungen zurechtkommen, sie müssen sich auch psychisch auf dieses veränderte Aussehen einstellen, also „seelisch in diesen neuen Körper hineinwachsen“.

Dieses seelische Hineinwachsen ist eine wichtige und notwendige psychische Entwicklungsaufgabe für die seelische Gesundheit. Gleichzeitig ist diese Phase natürlicherweise oftmals mit Verunsicherung verbunden. Gibt es in dieser Zeit keinen stabilen Rückhalt und Unterstützung, können falsche gesellschaftliche Vorbilder, wie z.B. untergewichtige Schauspielerinnen oder Models, zu ungesunden Role-Models werden.


Was sind Essstörungen?

Essstörungen sind keine Ernährungsstörungen. Vielmehr bedeuten Essstörungen, dass die Betroffenen Probleme auf der seelischen Ebene nicht verarbeiten können. Essstörungen sind „Hilferuf der Seele“, sie offenbaren einen „Hunger nach Anerkennung“.

Das Leben der Betroffenen kreist zwanghaft um Essen bzw. Nicht-Essen. Unbeschwertes Genießen, gesunder Appetit und Hunger sind nicht möglich. Essen ist verbunden mit Scham- und Schuldgefühlen, der Angst zuzunehmen und dem Empfinden zu versagen. Nicht-Essen dagegen bedeutet Stolz, Unabhängigkeit und Macht.

Wenn Sie mehr zu den einzelnen Essstörungen (Magersucht/Anorexie, Bulimie und Esssucht /Binge Eating Disorder) wissen wollen, können Sie sich unter www.essstoerungshotline.at informieren.


10 Dinge, die Eltern tun können, um Körperunzufriedenheit und damit Essstörungen bei ihren Kindern vorzubeugen *1

 

  1. Überlegen Sie sich, welche (innere) Einstellung Sie zu Ihrem eigenen Körper haben und wie diese Vorstellungen von den Themen Körpergewicht und Sexualität beeinflusst werden.

  2. Sprechen Sie mit Ihren Kindern über
    • die genetische Vielfältigkeit beim Menschen (Aussehen, (Kleider)Größe,..) und
    • die Auswirkungen von Vorurteilen und Voreingenommenheit gegenüber anderen Menschen.
    Bemühen Sie sich, Ihren Kindern eine positive und „gesunde“ Lebenseinstellung zu vermitteln.

  3. Denken Sie an die Träume und Ziele, die Sie für Ihre Kinder haben. Spielen darin Werte wie Schönheit und Aussehen, speziell für Mädchen, eine große Rolle? Vermeiden Sie ein Verhalten, das den Kindern vermittelt, dass sie nur geliebt werden, wenn sie abnehmen, nicht so viel essen, ausschauen wie die mageren Models in der Werbung oder nur in kleine Konfektionsgrößen passen, etc. Überlegen Sie, was Sie tun können, um Sticheleien und Kritik am Aussehen anderer zu verhindern. Denn genau das zeigt wieder das Bild vom "schlechten“ Dicksein und „guten“ Dünnsein.

  4. Sprechen Sie mit Ihren Kindern über:
    • die Gefahr von Diäten
    • die Bedeutung von (gemäßigtem) Sport für die Gesundheit
    • die Wichtigkeit einer ausgewogenen Ernährung
    • Vermeiden Sie es, Ihre Nahrungsmittel einzustufen in gut/sicher/wenig oder kein Fett vs. schlecht/gefährlich/viel Fett.
    • Seien Sie ein Vorbild hinsichtlich bewusster Ernährung, Bewegung und Zufriedenheit mit sich selbst.

  5. Ermutigen Sie sich selbst zu Aktivitäten (wie Schwimmen, Sonnenbaden, Tanzen, etc.) auch wenn Sie dabei auf Ihre Figur aufmerksam gemacht werden. Tragen Sie Kleidung in der Sie sich wohlfühlen und unterstreichen Sie dadurch Ihre ganz persönliche Note. Machen Sie Sport aus Freude zur Bewegung und um sich gesund und fit zu fühlen. Durch angemessene, gesunde Bewegung setzten Sie Glücksgefühle frei.

  6. Bewerten Sie die Menschen in Ihrer Umgebung nach ihrem Charakter & ihrer Liebenswürdigkeit und nicht nach ihrem Aussehen.

  7. Die heutigen Medien vermitteln, dass dünne Menschen erfolgreich, stark und perfekt sind. Ihre Kinder sollen einerseits lernen, diese verfälschten Körperbilder abschätzen zu können und andererseits diesen unechten Idealen zu widerstehen!

  8. Machen Sie Ihren Kindern bewusst, dass es auch zu deren Aufgabe zählt, Vorurteile gegenüber anderen Menschen (z.B. hinsichtlich des Körpergewichtes) abzubauen.

  9. Ermutigen Sie Ihre Kinder dazu, sich in ihrem eigenen Körper wohl zu fühlen. Machen Sie ihnen keine „Kalorien-Vorschriften“, außer wenn es aus medizinischen Gründen (z.B. Krankheiten) notwendig ist.

  10. Tun Sie alles, damit Ihre Kinder den richtigen Zugang zu einem ausgeglichenen Selbstwertgefühl bekommen und sich selbst respektieren (körperlich, geistig und sozial). Geben Sie den Mädchen sowie den Burschen das gleiche Maß an Möglichkeiten und Ermutigung. Erwecken Sie bei Ihren Kindern nicht den Eindruck, dass Mädchen weniger wichtig bzw. anders sind als Jungs („nur Mädchen sind für die Hausarbeit und Kindererziehung zuständig). Ein gutes Gespür für sich selbst und ein stabiles Selbstbewusstsein sind das beste Mittel gegen Schlankheitskuren und Essstörungen.

 
*1 Aus einem Vortrag von Michael Levine bei der 13.  National NEDO Conference, Columbus, OH, 3.  Oktober 1994

 

Erste-Hilfe für Eltern, wenn Ihr Kind eine Essstörung entwickelt hat:  *2

  • Den ersten wichtigen Schritt haben Sie soeben getan, Sie informieren sich über den richtigen Umgang mit Ihrer/m Angehörigen. Information trägt zum Verstehen der/s Betroffenen bei und Verständnis für die/den Betroffenen ist für die Krankheitsbewältigung eine wichtige Unterstützung.
  • Essstörungen können viele Ursachen haben. Der Heilungsprozess wird jedoch stärker gefördert, wenn Sie nach Lösungen suchen anstatt nach einer/m „Schuldigen“!
  • Ein offener Umgang mit der/m Betroffenen ist von enormer Bedeutung. Die Essstörung soll nicht tabuisiert werden. Am besten können Sie Ihrer/m Angehörigen helfen, indem Sie ihr/ihm sagen, dass Sie sich Sorgen machen und welche Veränderungen Ihnen aufgefallen sind.
  • Stellen Sie nicht Ihr ganzes Leben auf die Essstörung ein, es ist für die Betroffene / den Betroffenen eine Entlastung, wenn Sie sich gut um Ihre eigenen Bedürfnisse kümmern.
  • Zeigen Sie klar Ihre Grenzen, Sie müssen nicht alles verstehen oder erdulden.
  • Sagen Sie der/dem Betroffenen, dass Sie sich wünschen, dass sie/er sich in medizinische Behandlung begibt. Damit übergeben Sie auch die Verantwortung der/m Betroffenen. Das ist ein notwendiger Schritt.
  • Meist ist es für nahe stehende Menschen schwer auszuhalten, dass man so wenig tun kann, um der/m Betroffenen in der Bewältigung ihrer/seiner Krankheit zu helfen. Eine Essstörung zu bewältigen braucht viel Kraft und vor allem den Entschluss, dass man mit diesem krankhaften Essverhalten aufhören will.
  • Letztendlich soll die/der Betroffene mit Hilfe von Psychotherapie die Krankheit bewältigen.
  • Sehen Sie den Menschen als Ganzes, die Essstörung ist nur ein Teil der Persönlichkeit, es gibt auch andere Facetten, die gesehen werden möchten.

*2 Wiener Programm für Frauengesundheit

 

Zusammenfassend: Essstörungen sind kein Ernährungsproblem, sondern eine seelische Krankheit. Es hat daher keinen Sinn, an die Betroffenen zu appellieren, sich wieder „zusammenzureißen“, „normal“ zu essen. Die schwere seelische Krise muss entschlüsselt werden, auch wenn diese von den Betroffenen anfänglich geleugnet wird.

 

Kostenlose und anonyme Telefon- und e-Mail-Beratung:
Hotline für Essstörungen 0800 20 11 20
hilfe@essstoerungshotline.at
www.essstoerungshotline.at

Kostenlose Informationsbroschüren des Wiener Programms für Frauengesundheit:
http://www.essstoerungshotline.at/literatur/Gratismaterial/index.html

zu bestellen unter frauengesundheit@ma15.wien.gv.at oder 01/4000 – 87 162

Kontakt für weitere Information und Vorträge:
Wiener Programm für Frauengesundheit
In der MA 15 – Gesundheitsdienst der Stadt Wien
Mag.a Michaela Langer
Klinische und Gesundheitspsychologin
01/4000-87161
michaela.langer@wien.gv.at
www.frauengesundheit-wien.at

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